Unsere Reise beginnt mit einem zwiespältigen Vergnügen: wegen der Baustellen des Tren Maya sind viele grosse Lastwagen auf der Strasse nach Calakmul unterwegs. Eine staubige Angelegenheit. Auch allgemein hat es auf den ersten Kilometern nach Chetumal für unseren Geschmack deutlich zu viel Verkehr, immerhin jedoch auch eine breite Schulter. Andererseits brausen wir hier so schnell dahin wie noch nie - mit gut 20km/h ein Weilchen den Hügel hoch, und gleich darauf mit 30-40 Sachen eine ganze Weile drüben runter. Auf 200km erreichen wir einen Schnitt von 24km/h und brauchen dennoch mit 7Wh/km eher wenig Strom.. Rekord! Naja, und Sonne hat es ja eh auch genug ;)
Direkt nach der Grenze zu Campeche wirds dann einen Moment richtig abenteurlich - das grösste Schlagloch das wir sehen ist rund 1.5m breit und vielleicht 40cm tief. Die Lastwagen fahren Slalom, und wir versuchen extra vorsichtig zu sein. Zum Glück wirds bald wieder besser und wir haben bei keiner Abfahrt eine allzu grosses Bodenwelle übersehen. Zu unserem Erstaunen finden wir uns ab Xpujil dann plötzlich für 5km auf einem Radweg wieder.. und kurz danach begegnen wir unserem ersten bepackten Reiseradler in Mexiko: Armado. Auf der Ruta Chichimeca fährt er wie knapp 30 Velodahrer aus ganz Mexiko nach Chetumal, um hier die Independencia, den mexikanischen Nationaltag zu feiern. Ebenjener Tag, wegen dem wir uns für diese grosse direkte Strasse entschieden, statt so lange wie möglich dem Rio Hondo an der Grenze zu Belize zu folgen. In Escárcega werden wir herausfinden, ob sich das gelohnt hat - doch zuerst stehen nun die Dschungel-Ruinen von Calakmul auf dem Programm.
Regenwald. Vor Einbruch der Dunkelheit schüttet es zwei Mal sintflutartig, danach fallen einzelne schwere Tropfen noch die ganze Nacht über gemütlich auf das Wellblechdach über unserem Zelt. Brüllaffen ganz nah wecken uns um fünf Uhr früh, am Morgen der Abfahrt sehen wir sie zum ersten Mal in freier Wildbahn. In den Ruinen sind zudem Spinnenaffen unterewgs, eine ganze Gruppe Cuatis mit aufgestellten Schwänzen und eine Tarantel kreuzen unseren Weg. Grosse, pfauenartige Vögel, ein grünes Meer bis nach Guatemala, Naturparadies. Von der 45 Meter hohen “Strukur II”, einer Stufenpyramide, sieht man Dschungel so weit das Auge reicht. Anscheinend kann man hier sogar bis Tikal sehen, den grossen Rivalen dieser mächtigen alten Mayastadt. Einst lebten im Stadtkern wohl über 50’000 Menschen, in der Agglomeration bald eine viertel Million. Nach 1000 Jahren hat sich die Natur den Ort weitgehend zurückerobert. Bäume wachsen über gewaltige Kolossalbauten, tausende unerforschte Gebäude bleiben verschlungen von verworrenem Grün. In dieser Umgebung ist der Gedanke nah, wie klein und verletzlich auch unsere “grosse Zivilisation” doch sein kann.
15.9.2023. Heute ist er da, der Tag von ‘El Grito’, dem Schrei. Unsere Ankunft in Escárcega passt zum Namen des Nationalfeiertags, es ist unglaublich laut. Am Taxistand rufen Männer mit kräftiger Stimme Destinationen aus: “Campeche, Campeche, Campecheee! Villa, Villa, VillaVillaVillaVilllaaaa!” Motoren dröhnen, Lastwagen rattern, gerufene Gespräche werden über die Strasse hinweg geführt. Unsere Gastgeber im glücklicherweise etwas ausserhalb gelegenen Naturschutz-Camping nehmen uns abends mit zum Fest. Viele Leute sind auf der Strasse, es gibt leckere Drinks (Fresa Colada!) und gutes Essen zu probieren, tatsächlich auch Vielerlei vegetarisches. Ein extrem lautes Konzert wird wie von einem Kino-Trailer angekündigt, gefolgt von Militärparade, politischer Rede und dem vielstimmig wiederholten Ruf “Viva México! Viva la Revolución! Viva Escárcega! Viva Escárcega!”. Zum Schluss überbieten sich zwei Kasinos mit einem schönen Feuerwerk, ein Nationaltag fast wie bei uns. Nur die Landeshymne, die wurde hier sicherlich um einiges textsicherer und mit grosser Inbrunst mitgesungen.
Unser erster Fahrtag in Tabasco beginnt gewohnt schön. Ab und zu etwas Waschbrettpiste, meistens jedoch gut fahrbahr durch offene, grünbraune Gegenden. Seit Campeche ist die Landschaft geprägt von der Weidehaltung indischer Rinder mit ihrem charakteristischen Buckel. Dennoch gibt es relativ viele Bäume und Hecken, die Aussicht erinnert etwas an die spanische Meseta, aber nicht ganz so komplett abgeholzt. Als wir durch eine Allee gemischter Laubbäume fahren könnte man fast meinen, an einem heissen Sommertag zu Hause zu sein. Was uns auch sehr gefällt: hier gibt es wieder Flüsse, die unseren Weg begleiten!
Die Stelle zum Übernachten, die wir uns auf der Karte ausgesucht hatten, ist tatsächlich so perfekt wie gedacht: am Fluss zum Baden, mit Wiese und wenig Mücken. Doch dann, kurz bevor wir unser Zelt aufstellen wollen, kommen ein paar Männer mit Pferd und Gewehren vorbei. Es tue ihnen Leid, dass sei wirklich ein schönes Plätzchen und es freue sie, dass wir hier seien. Aber ein “Bandido” sei mit einer Machete unterwegs, das halbe Dorf sucht nach ihm und wir sollten besser weiterfahren, nicht dass noch etwas passiert. Dieses Erlebnis beschreibt gut zwei Seiten einer Medaille, die wir hier ab und zu zu Gesicht bekommen - einerseits für uns ungewohnte Gefahren, auf die es zu schauen gilt. Andererseits aber auch extrem hilfsbereite und aufmerksame Menschen, die gut auf uns Acht geben. An dieser Stelle: herzlichen Dank für diese Warnung und viele weitere gute Ratschläge!
Wir bekommen dann sogar eine Polizeieskorte bis aus dem Dorf und suchen uns zehn Kilometer weiter einen neuen, gut verborgenen Platz. Leider ist es mittlerweile schon etwas spät, eine Eule fliegt über den Weg und die Brüllaffen melden das Eindunkeln an. Schnell das Zelt stellen, denn jetzt ist auch die bevorzugte Stunde der Mücken angebrochen: so schlimm wie hier wurden wir selbst im Dschungel nie verstochen. Kein Wunder, verraten doch die Frösche in der Nacht den nahen Sumpf..
Verdammt, was für ein anstrengender Tag. Und Morgen wirds wohl nochmal so schwer bis wir in Palenque sind. Unterwegs liegt Freud und Leid manchmal unglaublich nah beieinander. Heute früh dachten wir noch frohgemut an die Berge, die in Chiapas auf uns zukommen. Mit Respekt durchaus, aber es lief grad alles wieder mal wunderbar rund. Und dann: Achsenbruch im Motor, keine Ahnung wieso. Der sollte eigentlich deutlich entlastet sein, da er in unserem Anhänger nicht wie vorgesehen die ganze Radlast trägt, sondern entspannt fliegend an seinen Ketten zubbeln darf. Liegts vielleicht an der Wechselbelastung durch die Rekuperation? Naja, vorerst können wir eh nix machen und das neue Motto heisst “Hike a Bike”. Mit 150kg Vehikelgewicht auf hügligen Schotterstrassen wird das bergauf manchmal schlicht zur Tortur. Mal schauen wanns weiter geht, zuerst mal nur noch diesen Hügel hoch, paso a paso, so lange die Kraft halt reicht. Dafür bekommen wir beim Zelten Gesellschaft. Ein äusserst freundlicher junger Mann freut sich sichtlich, uns erklären zu können was sie hier alles anbauen. Er fragt uns auch ein wenig über die Reise aus, bringt Pozol (ein leicht fermentiertes Maisgetränk) zum Probieren und leckeres Agua de Limon um unseren Durst zu stillen. Nachdem das Eis gebrochen ist, umringt uns bald eine ganze neugierige Kinderschar, und wir lernen wieder einmal ein Maya-Wort: “Guogosh Aguele!”, “Vielen Dank” in der hiesigen Sprache Chol.
Nach halbprivater Katzenwäsche, heute ganz ohne Mücken, grüssen uns die Glühwürmchen gute Nacht. Ein ereignisreicher Tag geht zu Ende, und damit auch dieser Blogbeitrag. Guogosh Aguele!