Ðie Ankunft in British Columbia vermittelt ein ganz neues Gefühl von Willkommen. Statt eines mürrischen US-Grenzers begrüsst uns eine freundliche Beamtin und wünscht uns eine gute Reise. Selbstverständlich gibt es ein Netz von Fahrradwegen durch Vancouver - und Radfahrer sind im Alltag unterwegs! Auf einem schönen Veloweg durch den Wald in den Vororten winkt uns ein Polizist zu, und meint zu seinem Kollegen: “Here comes the future!” Wir sind eine Woche zu Besuch auf ganz unterschiedliche Weise: bei Gili, Maya und ihren beiden Söhnen - nie zuvor physisch getroffen, aber eine rege Info-Austausch-Bekanntschaft aus Mexiko verbindet uns - erfahren wir mehr über die Fahrradstadt, die besten Gelatti und Sehenswürdigkeiten die es zu entdecken gilt. Bei einem Ausflug in den Stanley Park mischen wir uns unter die üblichen Miettandems, sehen Wasserflugzeuge starten und landen und bestaunen das gerade stattfindende Drachenboot-Festival. Bei Vanessa - wir waren zur gleichen Zeit zu Gast bei Geni und Peter im Süden der USA - Erholung, Ruhezeit, ein freudiges Wiedersehen. Und zuletzt bei Grin Technologies - die Innovationsfabrik, von der unsere ganze Elektronik stammt - eine Firma wie eine grosse Familie, inspirierend, kreativ, voll lebendigem Talent. Das Rad wird wieder perfekt auf Vordermann gebracht, Geschichten und Erfahrung ausgetauscht, tausend Fahrzeuge und Kleinigkeiten in der Produktion bestaunt und natürlich haben sie ein Bett für Radfahrer unterwegs..
Nach diesem vollen Programm rollen wir gemächlich los Richtung Osten, heimwärts. Kaum aus der Stadt raus, geniessen wir einen entspannten Ruhetag bei Carole und Jeffrey, lernen auf einem gemütlichen Spaziergang durch den Regenwald Salmon Berries - Lachsbeeren - schätzen und tauschen Reiseerinnerungen der näheren (seit wir die Beiden in Baja California getroffen haben) und ferneren (in jungen Jahren waren sie selber auf grosser Fahrradtour durch Europa) Vergangenheit aus. Hier sind wir im Beerenparadies. Und wo Beeren sind, sind auch Bären nicht weit: auf dem Weg in Richtung Rockies, am ersten ‘richtigen’ Fahrtag in Kanada begegnen wir prompt das erste Mal Meister Petz. Vermutlich ein junger Schwarzbär, nicht riesig aber doch beeindruckend, zottelt er vielleicht 40 Meter vor uns gemütlich dem Weg entlang. Gänzlich unbeeindruckt von und uninteressiert an uns zieht er seines Weges, und als wir einige Minuten später vorsichtig und laut die Reise fortsetzen, ist nichts mehr von dem Tier zu sehen. Ein magisches Erlebnis. Zu guter letzt lassen wir den ereignisreichen Tag mit einem entspannten Bad in einer heissen Quelle ausklingen. So darfs gerne weitergehen!
Und weiter geht es, auf dem Kettle Valley Rail Trail. Ein unvorhersehbares Vergnügen: immer mitten in der Natur, oft recht abgelegen, mit spektakulären Aussichten, Tunnels, Brücken und optimaler Steigung. Manchmal aber sandig, wellig, voller Schlaglöcher und kreuzenden Bächen, mit unüberwindbaren Barrieren versehen oder einfach von einem Erdrutsch weggeschwemmt - und Informationen darüber, wo welches Hindernis wartet oder bereits wieder repariert wurde, sind nur von entgegenkommenden Radlern für die nächsten Kilometer zuverlässig zu erhalten. Ein schönes, anstrengendes Abenteuer! Und umso schöner gibt es lokale Trail Angels wie Ciel und Mark, die sich für den Unterhalt dieser einzigartigen Strecken engagieren und auch die erstaunlich zahlreichen Toiletten mit Papier versorgen! Spontan lädt uns Ciel von der Strasse weg zu einem Badeausflug ein, übernachten dürfen wir im Garten und zum Frühstück macht Mark Blaubeer-Pancakes mit gesalzener Margarine und Ahornsirup. Yummie! 😋
Von dem ganzen Gerüttel - mittlerweile auf dem Columbia & Western Rail Trail - reisst nach über 19000km leider eine Schweissnaht an unserer Dachkonstruktion. Notdürftig mit Seil befestigt, kommen wir zum Glück dennoch weiter. Und nach ein paar Tagen - fast wie in Mexiko - fahren wir an einer Werkstatt vorbei, wo uns John bereitwillig aushilft und zu allem Überfluss noch mit frischen Radieschen aus dem eigenen Garten versorgt. An dieser Stelle wieder mal ein herzliches Dankeschön an all unsere spontanen Unterstützer. Ihr seid einfach super, und ohne euch wäre solch eine Reise nicht denkbar!
Boah, bis jetzt war Kanada ganz entgegen unseren Erwartungen ja gut auszuhalten bezüglich Mücken. Aber heute! Wir kommen kaum an, schaffens noch nicht mal vom Rad zu steigen ohne die ersten Stiche zu kassieren. Die Flamme still halten um eine Moskito-Spirale anzuzünden - eine Übung im Ausharren. Rita stellt das Zelt voll vermummt auf, ich hoffe das Rad steht halbwegs gut genug, nichts wie rein! Die Grossartgikeit eines geschlossenen Raums feiern! Langsam runterkühlen und Gepäck ordnen. Summkonzert zum Einschlafen.
Zum Glück besteht der Tag meist aus vielen anderen Momenten. Alle erdenklichen Beeren im Fraser Valley naschen - Heidelbeeren, Saskatoons, Huckleberries, Erdbeeren, Kirschen zur Abwechslung, Himbeeren vom Feld. Berge bestaunen, in eismilch kalten Flüssen baden, den Blick über unberührte Täler schweifen lassen und Museen entdecken. Die Geografie der kanadischen Rockies ist ungemein radfreundlich. Neben uns ragen Gipfel oft über 3000m auf, während die Pässe im weiten U der Gletschertäler meist kaum 1000m Anstieg bereithalten. Entlang den gletscherblauen Fluten des Kootenay-River, von violetten Blumenpolstern geziert, ziehen wir durch endlose Nadelwälder - junges Grün, ältere dunkle Bäume und silbern abgebrannte - der kontinentalen Wasserscheide entgegen. Danach gehts - zumindest theoretisch - auf dem optimalen Weg nur noch bergab bis zum Atlantik 😉
Ein paar gemütliche Tage sind wir mit Jannik durch den Banff-Nationalpark unterwegs. Er ist auch schon über ein Jahr auf den Rädern, und hat viele Anekdoten aus der Türkei, Georgien und Neuseeland zu erzählen. Zu dritt kochen, plaudern, wandern und auf Tiere hoffen macht Laune. Eine tolle Wanderung zu einem der Gletscher von Mount Victoria führt uns - wie bereits Yosemite zuvor - neben ihrer eigenen Schönheit auch vor Augen, wie spektakulär unsere Berge zuhause eigentlich sind. Horden von Touristen pilgern hierher, um den milchig blauen Lake Louise zu sehen, Gletschermühlen und Gipfel locken. Für uns vertraute Szenerien, gewürzt mit - in unseren Augen - einzigartigen Bärenmomenten, ungekannten Lebewesen am Wegesrand und weiteren feinen Unterschieden. Als kleine Anekdote sei unser notgedrungener Bear-Hang in der Nähe des Besucherparkplatz erwähnt, den die Ranger mit “einwandfrei ausgeführt, aber lockt halt dennoch Bären an” kommentieren..
Bald trennen sich unsere Wege jedoch schon wieder. Jannik erkundet weiter die Berge in Richtung Jasper im Norden, während wir uns in die Badlands und Prärie im Osten aufmachen.