An der Grenze von Tecate bis Mexicali ragen hohe Stahlträger aus dem Boden. Mal erinnern sie an Fotos der chinesischen Mauer, die sich über die Hügel schlängelt, dann kommen üble Bilder aus deutschen Gedenkstätten in den Sinn. Eine brachiale Ansage an die hoffnungsvollen Menschen, denen wir im Süden begegnet sind. Vielleicht ein Zeichen der Angst, der Ablehnung, auf jeden Fall ein handfestes Hindernis und ein sichtbares Zeichen der Ungleichheit in dieser Welt. Während auf der einen Seite Schlepper die Lage ausnutzen, fehlen auf der anderen Millionen Arbeitskräfte.. absurd und schwierig, wie die Situation bei uns im Mittelmeer. Uns stimmt es nachdenklich, wie mühelos wir diese Grenze queren dürfen - anderen bleibt dies verwehrt, während Lastwagenkolonnen mit Gütern, Reichtümer der ärmeren Länder, selbstverständlich ungehindert Eingang finden.
Vom Hügelland im Grenzgebiet und einer Nacht beim Desert View Tower - Danke Ben für den magischen Ort! - fahren wir bald in die Ebene hinunter. Topfeben. Felder grün mit Alfalfa, Tierfutteranbau in einem breiten Band links und rechts des durch die Bewässerung kümmerlich gewordenen Colorado River. Rundherum karge Steinlandschaft. Und doch finden wir ein Eckchen mit einem schönen Badeplatz am Fluss. Eine staubig-windige Angelegenheit, und ein guter Ort für einen ersten Ruhetag in der unbekümmerten Gewissheit, dass wir hier auf ‘Public Land’ unser Zelt aufstellen dürfen. Ein echter Luxus.
Nach einer entspannten Fahrt durch Dünenlandschaften voller Erwachsenenspielzeug (Sandbuggies), an Thermalquellen vorbei und durch das Camperparadies Quarzsite, steht heute ein halber Tag Autobahnfahrt auf dem Programm. Was sich erst schlimm anhört, geht eigentlich noch. Ja, es ist laut und die Autos brausen noch einen Tick schneller vorbei als auf der Landstrasse. Dafür überholen aber ausnahmslos alle mit genügend Abstand, und die Fahrt auf einem 2.5m breiten Ra(n)dstreifen ist - abgesehen von Auf- und Abfahrten - ansich recht entspannt. Dennoch sind wir froh, als wir wieder auf gemütlichere Wege in die Berge abbiegen können.
Und siehe da, diesen Morgen werden wir tatsächlich von einer feinen weissen Pracht begrüsst. Das Inlandklima und 2000m Höhenunterschied zum Meer machen sich bemerkbar, und nun gibt es also doch noch Winter für uns. Wo die Sonne hinscheint umgeben uns rote Berge, horizontal gebändert und mit grauer Kappe obenauf. Diese Tage fahren wir einige Alpenüberquerungen hintereinander, wir schlafen mit langer Unterwäsche in der Höhe und radeln kurzärmlig durch die Täler. Ab Prescott geniessen wir die Gastfreundschaft ebenfalls Radbegeisterter. Von Karen werden wir spontan aufgenommen und vor dem Regen gerettet. Peter und Geni - erstaunlich zwäg noch im hohen Alter - verwöhnen uns nach Strich und Faden. Wir bestaunen beeindruckendes Kunsthandwerk aus Kalebassen, und lernen ausserdem eine weitgereiste Radlerin aus Vancouver kennen - bis bald, Vanessa! Bei Deb und Glenn erwartet uns ein Schatz an Reiseerfahrung, Bilder und Erinnerungen der Sierra Cascades und Route 66, die wir bald unter die Räder nehmen wollen. Hier in Sedona empfängt uns ein Haus voller Reisesouvenirs aus aller Welt, und die schönste Umgebung, um direkt von der Haustür aus loszuwandern.
Schon sind wir in Flagstaff, und geniessen Erholzeit bei Moni und Yves, Ritas Freunden von ihrem ersten US-Abenteuer. Tagesausflüge zu National Monuments und Parks in der Gegend stehen auf dem Programm, eine Flut von Päckchen liegt zur Generalüberholung unseres treuen Transportmittels bereit - und nicht zu vergessen das leckerste Weihnachtsgeschenk von zu Hause, selbst gebacken und natürlich beinahe ofenfrisch! Nähte flicken, Wäsche schrubben, mit dem Hund Zorro und unseren Gastgebern spielen, Ausflüge machen und Pläne ändern..
Arizona geizt nicht mit atemberaubenden Landschaften. Zugleich lernen wir eine Gegend voll Geschichte und Kultur kennen: die jüngere Geschichte von Landraub, Ungerechtigkeit und Vertreibung der ansässigen Native Nations - meist im Interesse privater Rancher, teils aber sogar zur Etablierung und zum Schutz der Nationalparks. Die ältere, ungeschrieben überlieferte Geschichte ausgefeilter Überlebensstrategien in einer unwirtlichen Umgebung, von Wanderschaft und dem Auftrag, die Natur zu pflegen. Und die jahrmillionen alte Geschichte von versteinernden Bäumen, Fossilien und bunten Sedimenten, abgelagert als dieses Land noch an Pangäas Küste lag.
Unser erster Versuch zum Grand Canyon zu gelangen soll wohl nicht klappen. Nach anfangs stürmischem Gegenwind und einem gerissenen Schaltzug kommt doch ein insgesamt schöner Fahrtag zusammen. In der Nacht werden wir gut eingeschneit, doch morgens ist die Strasse schon wieder einigermassen befahrbar.. wäre da nicht ein heftig schaukelnder Anhänger (Dämpfergummi eingefroren), Aussetzer des Motors (liegts an der leicht geänderten Übersetzung?) und zur Krönung einem ruckelig knirschenden Tretlager. Aber Glück muss man haben: auf der anderen Strassenseite hält Hillary für eine Raucherpause, und fragt hilfsbereit ob alles ok sei. Wir wissens noch nicht sicher, doch da sie zufälligerweise einen leeren Transporter fährt (war halt kein anderes Mietauto verfügbar) nehmen wir ihr Angebot, uns nach Flagstaff zurück zu bringen, dankend an. So eine Gelegenheit kommt wohl kein zweites Mal! Die Entscheidung entpuppt sich als goldrichtig. Im Radladen können sie gleich das Lager wechseln (‘Kugel’-lager kann man das alte wohl nimmer nennen), und Moni und Yves sitzen im Restaurant nebenan beim Brunch. Ein freudiges, unverhofft frühes Wiedersehen, noch einmal eine heisse Dusche geniessen und am Montag starten wir bei Sonnenschein und eisigem Gegenwind den 2. Versuch.
Bis jetzt lief alles glatt, wir klopfen auf Holz und geniessen die einmalige Aussicht in die Schlucht des Colorado River, des Grand Canyon.